Dr. Julia Verlinden zu Gast im Pressegespräch und beim neuen Grünen-Format „Let´s talk about..“

Veranstaltungsformat Let´s talk about findet regen Anklang

Die Grünen Kreisverbände Friesland und Wilhelmshaven hatten zur neuen Veranstaltungsreihe „Let’s talk about:“ geladen und viele Interessierte folgten dem Ruf. Im Lokschuppen in Jever fand am Dienstag Abend die Podiumsdiskussion zum Thema Zukunft statt. Auf der Bühne saßen als Gäste Dr. Julia Verlinden (Energiepolitische Sprecherin von Bündnis 90/ Die Grünen, MdB), Dr. Mareen Möller (Meeresbiologin von der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Scientist for future Mitglied), Dr. Holger Freund (Leiter Geoökologie an der Carl von Ossietzky Universität), Martina Esser (Grüne Abgeordnete im Kreistag Friesland und Stadtrat Schortens), Carsten Feist (Oberbürgermeister Wilhelmshaven) und Sven Ambrosy (Landrat Friesland). Sina Beckmann  (Vorstandssprecherin der Grünen Friesland) moderierte den Talk und führte souverän durch den Abend.

Zunächst gab es eine Eingewöhnungs-Fragerunde der Moderatorin an die Diskutant*innen. Passend zum Thema „Wie Klimaschutz und Bürgerenergie ökologischen und ökonomischen Wohlstand in der Region sichern“ wurde der Oberbürgermeister von Wilhelmshaven, Carsten Feist, gefragt, warum im Stadtrat gegen die Ausrufung des Klimanotstandes gestimmt wurde. Denn schließlich bedeute die Überprüfung der Verwaltungs-Vorhaben auf ihre Nachhaltigkeit und Klimarelevanz, dass externe Berater hinzugezogen werden, spezialisierte lokale Unternehmen die Ausführung durchsetzen könnten und so für Wohlstand und Umsatz vor Ort sorgen würde. Somit schließen sich Ökologie und Ökonomie nicht aus. Feist antwortete sehr diplomatisch ausweichend, verwies auf die Ratsmitglieder und bemerkte, dass es nur einen Klimanotstand gäbe, wenn die Deiche brechen würden. Doch dazu später mehr.

Dr. Julia Verlinden versuchte den Bogen zur Bundesregierung zu schlagen, die untätig in Berlin sitzt und den Zustand verwaltet. So wurde bekannt, dass die CDU den Photovoltaik-Deckel von 52 Gigawatt, der vermutlich im März 2020 erreicht sein wird und in dessen Folge heute schon einige Solar-Projekte keine Banken-Finanzierung aufgrund der Unsicherheit mehr bekommen, als „Geisel „genommen hat. Die CDU möchte, obwohl laut gemeinsamem Koalitionsvertrag der PV-Deckel abgeschafft werden soll, erst zur Tat schreiten, wenn die SPD ihr entgegenkommt und der Abstandsregelung für die Windkraft-Anlagen von 1000m zustimmt. Das ist keine Verhandlung, das ist schlicht Erpressung gegen den Wähler-Willen. Auch Landrat Sven Ambrosy konnte dem nur beipflichten. Zwar sind in Friesland laut dem Regionalen Raumordnungsplan (RROP) nur 130 Megawatt (MW) an installierter Leistung von erneuerbaren Energien vorgesehen, der aktuelle Stand liege aber bei 280 MW – hauptsächlich Windstrom. Die Quote sei also schon übererfüllt, man wolle aber nicht aufhören und sich auch weiterhin für das Repowering alter Anlagen und Standorte stark machen. So ist Friesland quasi ein Exporteur von erneuerbarem Strom und hat sein Ziel aus dem 2010 verabschiedeten Klimaschutzkonzept, nämlich 2025 klimaneutral in Sachen elektrischer Energie zu sein, bereits geschafft. Allerdings müssen noch viele Gebäude im Landkreis und auch in der Stadt Wilhelmshaven auf ihre Energieeffizienz hin überprüft werden. Gerade bei der regenerativen Wärme gibt es noch großen Nachholbedarf.

Die rund 60 Zuschauer*innen erlebten eine rege Debatte auf dem Podium, auch die Themen des Kohleausstiegs bis 2022 in Wilhelmshaven und das geplante LNG-Terminal kamen nicht zu kurz. Dr. Mareen Möller stellte fest, dass es keine Zeit zu verlieren gäbe. Man könne nicht auf alte, fossile Energieträger setzen, weder auf Kohle, noch auf Gas oder gar auf gefracktes LNG aus den USA, welches in Wilhelmshaven anlanden soll. Das 1,5 Grad aus dem Pariser Klimaabkommen werden wir schon nicht mehr halten können, wir seien jetzt schon bei 1 Grad Erderwärmung und steuerten eher auf die 2 Grad zu. Daher ist es umso wichtiger, dass alle Gelder und Förderungen umgehend aus den fossilen Energieträgern abgezogen und nur noch Investitionen in erneuerbare Energien getätigt werden, das sogenannte Divestment. OB Feist wies in dieser Diskussion ausdrücklich darauf hin, dass die 157 Mio. € Strukturhilfe für die Region definitiv nicht in den möglichen LNG-Terminal fließen werde. Eine Taskforce-Gruppe beschäftige sich derzeit damit zu evaluieren, in welche Projekte die Gelder fließen werden. Natürlich sollen neue Arbeitsplätze geschaffen werden, zum Beispiel hier in der Region, die auch nach Wünschen des Landkreises Friesland nun zur Wasserstoff-Hochburg werden soll. Genügend erneuerbaren Strom durch die Windkraft-, Solar und Biogas-Anlagen gibt es vor Ort, oft werden die Anlagen sogar runter geregelt, weil zu viel Strom, auch Kohle- und Atom-Strom, im Netz ist. Dieser momentan überschüssige Strom soll nun hier in der Region zur grünen, also nachhaltigen, Wasserstoff-Produktion genutzt werden. Der Landkreis Friesland befasst sich schon länger mit dem Thema und versucht zum Beispiel in Schortens eine Wasserstoff-Tankstelle zu platzieren.

Keine Klimadiskussion kommt heute mehr ohne die Einbeziehung von Fridays for future aus. Seit über einem Jahr demonstrieren Jugendliche, aber auch Eltern, Wissenschaftler und ältere Menschen für eine bessere und schnellere Klimapolitik, doch getan hat sich in Deutschland noch nicht viel. Dr. Holger Freund tritt entschieden dafür ein, die F4F-Bewegung weiterhin zahlreich zu unterstützen. Gerade auch die Wissenschaft hat hier eine wichtige Aufgabe. Man wusste schon sehr lange von den Klimaproblemen, aber auch der Wissenschaftler gesteht selbst zu, dass er zur Generation „Aufschieberitis“ gehöre, die nur in internen Kreisen über die Klimaproblematiken gesprochen habe, aber darüber hinaus nicht gehandelt hätte. Deshalb ist es heute so wichtig, dass die Scientists for future die Klima-Bewegung nach Kräften unterstützen und nicht nachlassen.

Ein weiterer Bereich mit vielen schädlichen CO2-Emissionen ist der Verkehr. Gerade im ländlichen Raum ist die Mobilität ein wichtiger Punkt, es müsse mehr Angebote geben. Martina Esser konnte dazu berichten, dass der Landkreis Friesland in Radschnellstraßen investieren möchte und auch der neue ambitionierte ÖPNV Plan zeige, dass der Landkreis die Herausforderungen sieht und annimmt. Zur Radmobilität gibt es am 16.03.2020 im Bürgerhaus Schortens eine Informations-Veranstaltung. Auch Verlinden pflichtete bei, dass die Mobilität sich grundsätzlich zum Rad und zu mehr ÖPNV und zu deutlich weniger Individual-Verkehr mit PKWs entwickeln muss. Das Motto dabei lautet: vermeiden, verlagern und neue Antriebe ins Auge fassen. Das ist deshalb so wichtig, weil im Klimaschutzkonzept des Landkreises Friesland aufgeführt wird, dass man bis 2030 im Verkehrssektor klimaneutral sein möchte.

Bis 2025 hingegen, also in 5 Jahren schon, soll die Klimaneutralität auch im Bereich Wärme erreicht werden. Auch hier gab Verlinden zu bedenken, dass die Möglichkeiten des Energiesparens riesig sein, aber leider, auch auf Bundesebene viel zu wenig gemacht werde. Der Sanierungsfahrplan für Bundesgebäude wird von der großen Koalition nicht umgesetzt, Fördertöpfe müssen auch für Eigentümer attraktiver werden. Es sei dabei aber sehr wichtig, auf den sozialen Aspekt zu achten. Wohnungen und Häuser dürfen nicht zu Lasten der Mieter saniert werden, es gelte der Leitspruch faire Regeln für faire Wärme. Passivhäuser und Niedrigenergie-Häuser müssen Standard werden ebenso wie die Pflicht, dass Neubauten mit Photovoltaik-Anlagen bestückt werden. Ein erschreckendes Szenario malte Feist, der darstellte, dass es unter den jetzigen Bedingungen keinen Ausbau von erneuerbaren Energien in 2020 geben wird und die nächsten Jahre viele Klagen gegen Gesetze wie die zu befürchtende 1000m Abstandsregel angestrengt würden. All das wird sogar zu einem Nettoabbau der erneuerbaren Energien-Quote führen, wenn die Bundesregierung nicht endlich handelt.

Man hätte die Debatte an diesem Abend mit den spannenden Themen sicherlich noch endlos weiter führen können, doch gegen Ende der Veranstaltung kam ein Eingangsthema wieder auf, welches die Besucher*innen scheinbar auch sehr interessierten. Wie sicher sind unsere Deiche? Schließlich gibt es viele Belege darüber, dass die Sturmfluten mehr und heftiger werden und die Wellenhöhe steigt. In diesem Punkt waren sich Feist und Ambrosy schnell einig – beim Küstenschutz ist noch viel Luft nach oben. Momentan würde es noch reichen, aber für die Zukunft sei man nicht gut gerüstet. Es wird deutlich mehr finanzielle Hilfe vom Bund benötigt, die 67 Millionen € aus Niedersachsen sind da leider nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Es bestehe mittlerweile ein Investitionsstau in Höhe von 2 Milliarden €, so Ambrosy, aber die Klimaanpassungen an der Küste haben die meisten Bundesländer nicht vor Augen, da sie keine Küste haben. Norddeutschland sei hier extrem unterrepräsentiert, dass müsse sich dringend ändern. Moderatorin Beckmann fasste dann zum Schluss zusammen, dass nun ein weiteres Thema für die nächste Let’s talk about: Veranstaltung gefunden sei: ein eigener Abend für den Deich- und Küstenschutz.