Aufhebung §219a beschlossen

24.06.2022
  • Der umstrittene Paragraf 219a des Strafgesetzbuches (StGB) wird endlich aufgehoben.
  • Der Gesetzentwurf, der eine ersatzlose Streichung von § 219a StGB vorsieht, wurde nach der 2./3. Lesung am 24. Juni 2022 vom Deutschen Bundestag beschlossen.
  • Damit geht ein langer politischer Kampf zu Ende. Ärztinnen und Ärzte können in Zukunft Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen, ohne Strafanzeigen oder Strafverfolgung fürchten zu müssen. Gleichzeitig wird der Zugang zu Informationen für ungewollt Schwangere verbessert.

Gesetzentwurf

„§ 219a wird aufgehoben.“ Mit diesem Satz aus dem Gesetzentwurf wird eine klare grüne Forderung eingelöst. Die Ampelregierung hat Wort gehalten und die Streichung von § 219a StGB so schnell wie möglich umgesetzt. Das bedeutet Rechtssicherheit für Ärzt*innen und mehr Informationsrechte für Betroffene. Zudem werden strafgerichtliche Urteile wegen § 219a StGB (Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft) aufgehoben und Verfahren eingestellt. Gleichzeitig wird gesetzlich klargestellt, dass es Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen, Krankenhäusern sowie Ärzt*innen gestattet ist, auch öffentlich sachlich und berufsbezogen über die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs zu informieren.

Änderung des Strafgesetzbuches – Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses mit Änderungsanträgen

Rückblick

Von Abtreibungsgegner*innen wurde Paragraf 219a StGB in der Vergangenheit dazu benutzt, Frauenärzt*innen, die öffentlich auf die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen in ihrer Praxis hinwiesen, zu denunzieren und anzuzeigen. Die weite Auslegung des Paragrafen, die sich so etablierte, kulminierte in der öffentlich wirksamen Verurteilung von Kristina Hänel durch das Amtsgericht Gießen am 24. November 2017. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen legte daraufhin umgehend einen Gesetzentwurf zur ersatzlosen Streichung des Paragrafen 219a StGB vor.

Dieser wurde, gemeinsam mit Gesetzentwürfen der anderen Oppositionsfraktionen von FDP und DIE LINKE, am 27. Juni 2018 in einer Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz erörtert. Zahlreiche Sachverständige sprachen sich für die Streichung des Paragrafen 219a StGB aus. Dieser schränke die Informationsfreiheit von ungewollt Schwangeren ein. Die Gesetzeslage bedeute eine moralische Missbilligung von Schwangerschaftsabbrüchen und führe zu einer Stigmatisierung von Ärztinnen und Ärzten, die diese durchführten, und außerdem zu einem Eingriff in ihre Berufsfreiheit. Dass sich deshalb immer weniger Ärztinnen und Ärzte dafür entschieden, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten, führe auch zu einer Verschlechterung der Versorgungslage.

Gleichwohl legte die damalige große Koalition erst Anfang 2019 einen eigenen Gesetzentwurf vor. Dieser sah keine Streichung des Paragrafen 219a StGB vor, sondern lediglich die Einschränkung dessen Anwendungsbereichs durch einen Ausnahmetatbestand und die Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch.

Dadurch sollte es Ärzt*innen, Krankenhäusern oder Einrichtungen ermöglicht werden, straffrei auf das Angebot von Schwangerschaftsabbrüchen hinzuweisen. Die von der Koalition vorgelegte Lösung wurde von mehreren Sachverständigen als unzureichend kritisiert und es wurde erneut die Streichung der Norm aus dem StGB befürwortet. Zudem meldeten einige Expert*innen insbesondere verfassungsrechtliche Bedenken an, die auch die von der Koalition vorgeschlagene Änderung nicht beseitigen könne. Der Gesetzentwurf wurde trotz dieser Einwände von der Koalition aus Union und SPD am 22. März 2019 beschlossen und trat am 29. März 2019 in Kraft.

Die grüne Bundestagsfraktion fasste darauf einen Fraktionsbeschluss, sich weiterhin für die ersatzlose Streichung des Paragrafen 219a StGB einzusetzen und bekräftigte Forderung mit Fraktionsbeschluss vom 4. Mai 2021.

Gesetzgebung der Ampel-Koalition

Die Aufhebung von § 219a StGB war im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Bereits im Januar 2022 wurde ein Referent*innenentwurf des Bundesministeriums für Justiz vorgelegt. Am 9. März 2022 konnte das Kabinett den Regierungsentwurf beschließen. Die 1. Lesung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB), zur Änderung des Heilmittelwerbegesetzes und zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch fand am 13. Mai 2022 im Deutschen Bundestag statt, die öffentlichen Anhörung folgte am 18. Mai 2022 im Rechtsausschuss. Als Sachverständige waren neben Kristina Hänel und weiteren Ärzt*innen auch Straf- und Verfassungsrechtsprofessor*innen, sowie Vertreter*innen von Verbänden und Beratungsstellen eingeladen.

Die Sachverständigen unterstützten mehrheitlich die ersatzlose Streichung des Paragrafen 219a StGB. Damit würde eine verfassungswidrige Norm abgeschafft, die ungerechtfertigt in die Berufsfreiheit der Ärzt*innen sowie in die Informationsfreiheit von ungewollt Schwangeren eingreife, erklärte die Verfassungsrechtsexpertin Prof. Dr. Anna Katharina Mangold. Kristina Hänel betonte, das Konzept des „Informed Consent“ („informierte Einwilligung“) sei das höchste Gebot der Medizin und müsse auch für den Schwangerschaftsabbruch gelten. Außerdem trage Paragraf 219a StGB zu einer Stigmatisierung des Schwangerschaftsabbruchs und damit zu einer Verschlechterung der Versorgungslage bei, kritisierte Valentina Chiofalo von Doctors for Choice Germany e.V.. Es müsse gewährleistet sein, dass Ärzt*innen, die lediglich das Versorgungsgebot erfüllen, keine rechtlichen Konsequenzen träfen.

2./3. Lesung unter Anwesenheit von Ärzt*innen und Verbänden

Nachdem letzte Änderungen am Gesetzentwurf, wie zum Beispiel eine gesetzliche Klarstellung, dass sachliche und berufsbezogene Informationen seitens Ärzt*innen und medizinischen Einrichtungen erteilt werden dürfen, am 22. Juni 2022 von den Ausschüssen gebilligt wurden, fand das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag mit der Abstimmung nach der 2./3 Lesung am 24. Juni 2022 seinen Abschluss. Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen wurde der Gesetzentwurf beschlossen.

Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin, Canan Bayram, Obfrau im Rechtsausschuss, sowie Bundesfrauenministerin Lisa Paus betonten in ihren Reden den historisch und frauenpolitisch wichtigen Schritt.

Ulle Schauws
Ulle Schauws (MdB | Sprecherin für Frauenpolitik | Sprecherin für Queerpolitik) Foto: Ulle Schauws

Mit der Abschaffung des §219a endet endlich die jahrzehntelange Stigmatisierung und Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten. Das Signal an sie lautet: Sie können endlich beraten und aufklären.

Lisa Paus

Die Streichung des §219a schafft Rechtssicherheit für Mediziner*innen und stärkt die Selbstbestimmung von Frauen. Das ist überfällig & richtig. Dafür so lange zu kämpfen, wäre ohne den Mut der Ärzt*innen & ohne starke Bündnisse nicht gegangen. Wir sagen Danke!

Ulle Schauws

Mit dem Ausspruch „Weg mit 219a“ wollen wir als Gesetzgeber*innen die Situation für die Gesellschaft verbessern. Und das ist gut so!

Canan Bayram

Wenn der Gesetzentwurf den Bundesrat am 8. Juli 2022 passiert, kann dieser vom Bundespräsidenten unterzeichnet und im Bundesgesetzblatt verkündet werden. Das Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.

Grüner Erfolg nach langem Streit

Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, im Rahmen einer Kommission Regelungsmöglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs prüfen zu lassen. Wir werden uns auch in Zukunft dafür einsetzen, die Versorgungslage für ungewollt Schwangere zu verbessern und die gesundheitliche Versorgung sicherstellen.

Mit dem Wegfall von Paragraf 219a StGB wird ein Versprechen der Ampel eingelöst. Der 24. Juni 2022 ist ein historischer Tag, der für mehr Informationen, mehr Rechte, mehr Selbstbestimmung steht.