80 Jahre nach dem Auschwitz-Erlass braucht es nachholende Gerechtigkeit

Zum 80. Jahrestag des sogenannten Auschwitz-Erlasses erklärt Filiz Polat, stellv. Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat:

Filiz Polat, MdB | Foto: Kaminski

Vor 80 Jahren, am 16. Dezember 1942, wurde mit Unterzeichnung des sogenannten Auschwitz-Erlasses die Deportation europäischer Sinti*zze und Rom*nja in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau eingeleitet. Berufsverbote, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und präventive Inhaftnahme hatten bereits seit Mitte der 1930er Jahre dafür gesorgt, dass Angehörige der deutschen Sinti kriminalisiert wurden. Der Auschwitz-Erlass stellte jedoch eine neue Form der Verfolgung durch die NS-Diktatur mit dem Ziel dar, das Leben und die Kultur der Sinti*zze und Rom*nja vollständig auszulöschen. Er bildete die Grundlage für die Deportation von tausenden Menschen aus zahlreichen europäischen Staaten.

Trotz ihrer offensichtlichen und massiven Verfolgung und ungeachtet tausender Ermordeter wurden Sinti*zze und Rom*nja nach dem Krieg Wiedergutmachungsleistungen verweigert. Der Holocaust an der Minderheit wurde lange nicht als solcher anerkannt, und die rassistische Erfassung durch Behörden hielt an. Sinti*zze und Rom*nja wurden damit nach dem 2. Weltkrieg erneut kriminalisiert, und der Opferstatus wurde ihnen abgesprochen. Diese „zweite Verfolgung“ nach 1945 muss zwingend aufgearbeitet werden. Für die Aufarbeitung des Unrechts und die Herstellung nachholender Gerechtigkeit braucht es daher schnellstmöglich eine Wahrheitskommission, wie von der Unabhängigen Kommission Antiziganismus empfohlen und vom Antiziganismusbeauftragten unterstützt. Zur Schaffung einer Gesellschaft ohne Diskriminierung, Hass und Hetze gehört die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – nicht nur am 16. Dezember, sondern jeden Tag.