GRÜNE fordern verbindliche Zuständigkeiten und Verfahren zur Nord- und Ostseeweiten Bergung von Munitionsaltlasten

Steffi Lemke, parlamentarische Geschäftsführerin und Sprecherin für Naturschutzpolitik, zu den Antworten auf ihre Kleine Anfrage zu Munitionssprengungen in Meeresschutzgebieten:

Steffi Lemke, MdB | Parlamentarische Geschäftsführerin und Sprecherin für Naturschutzpolitik

ZitatDie Bundesregierung verschweigt wichtige Fakten zu den Vorgängen und naturschutzfachlichen Versäumnissen rund um die Sprengungen von 39 britischen Grundminen im Meeresschutzgebiet Fehmarnbelt. Offensichtlich hat der NATO-Verbund ohne Abstimmung mit oder auch nur Information der zuständigen Naturschutzbehörden gesprengt und eine riesige Fläche der Zerstörung hinterlassen. Die Sprengungen mitten im Schutzgebiet – im Lebensraum seltener und geschützter Arten – ohne Abstimmung mit den Naturschutzbehörden, ist ein Skandal auf Kosten der Natur. Das Verteidigungsministerium als erster Ansprechpartner des NATO Bündnisses scheint bestehendes Naturschutzrecht komplett ignoriert zu haben.

Dass nach den Vorfällen vom Fehmarnbelt, nun endlich eine Bund, Länder und behördenübergreifende Abstimmung, die Zuständigkeiten und Verfahren klären soll, ist ein längst überfälliger und dringend notwendiger Schritt. Ich fordere die Bundesregierung auf, dabei auch Fragen der Nord- und Ostseeweiten Bergung von Munitionsaltlasten zu klären. Dafür sind zusätzliche Finanzmittel des Bundes und eine bessere technische Ausstattung der Behörden unabdingbar.“

Auswertung und Bewertung der Antworten auf die Kleine Anfrage:

Auf dem Grund der deutschen Nord- und Ostsee liegen insgesamt 1.9 Millionen Tonnen Munitionsaltlasten aus dem zweiten Weltkrieg. Darunter sind 1,6 Millionen herkömmliche Waffen und 300.000 Tonnen chemische Waffen.

– In den Deutschen Meeresschutzgebieten liegen Erkenntnisse zu 123 Munitionsaltlasten und Kampfmitteln vor, davon 13 in der AWZ und 110 im Küstenmeer.

– Bisher wurden 637 Munitionsaltlasten und Kampfmittel in Meeresschutzgebieten geborgen bzw. gesprengt, davon 57 in der AWZ und 580 im Küstenmeer.

– In der AWZ erfolgt die Absprache der Marine im Vorfeld von Bergungen/Sprengungen mit den Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltungen (WSV). Das WSV verfolgt das Ziel aus dem Seeaufgabengesetz „…notwendige Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren und schädlichen Umweltauswirkungen…“ zu treffen. Dazu zählt auch die Abstimmung mit weiteren Behörden. Unter anderem den zuständigen Naturschutzbehörden.

Fehmarn-Belt | tommes64@pixabay

– Im beschriebenen Fall der Sprengungen im Meeresschutzgebiet Fehmarnbelt ist diese Abstimmung scheinbar nicht erfolgt. Die Bundesregierung führt aus, dass: „Die Planung und Durchführung eines Manövereinsatzes eines NATO-MCM-Verbandes […] generell keinem Genehmigungsvorbehalt seitens der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung [unterliegt]“ (Frage 7). Damit wird deutsches und europäisches Naturschutzrecht ausgehebelt. Die Argumentation, dass es sich im besagten Falle um eine Abwägung der „Grundsätze der allgemeinen Gefahrenabwehr und Umwelt-/Naturschutzbelange“ (Frage 6) handle, ist nur schwer Nachvollziehbar, da die Mienen bereits 2016 entdeckt wurden.

Es scheint vielmehr, als ob die Bundesregierung durch die Anwesenheit des NATO-Verbandes die Gelegenheit ausgenutzt hat (Frage 6), den Weg des geringsten Widerstandes zu nutzen und mit der Sprengung vollendete Tatsachen zu schaffen, statt die rechtlich notwendigen Einbeziehungsverfahren anzuwenden.

– Zu den genauen Abläufen der Sprengungen und den naturschutzfachlich erforderlichen Maßnahmen im Rahmen der besagten Sprengungen (Fragen 8-11), macht die Bundesregierung keine Aussage. Sie verweist lediglich auf eine noch ausstehende Einigung zwischen den Behörden zu solchen Verfahren. Die Fragen waren jedoch explizit zu den schon geschehenen Sprengungen gestellt. Die fehlenden Antworten, werfen die Frage auf, ob hier rechtmäßig gehandelt wurde.

Zu den ökologischen Schäden in den Schutzgebieten:

– „Nach derzeitigem Kenntnisstand erfolgten 39 der 42 Sprengungen im Meeresschutz- und NATURA 2000 Gebiet „Fehmarnbelt“ sowie im Bereich der Vorkommen von unionsrechtlich geschützten marinen Lebensraumtypen“ wie zum Beispiel Riffe und Sandbänke (Frage 12).

– Zu den Folgen der Sprengungen zählen ein 5 Meter breiter und 1,5 Meter tiefer Krater. Die vormals vorhandenen marinen Tiere und Pflanzen wurden im Krater und in einem Umfeld von bis zu 30 Metern um den Krater zerstört (Frage 12). Dies umfasst hochgerechnet auf die 39 Sprengungen im Meeresschutzgebiet Fehmarnbelt eine Zerstörung von bis zu 110.000 Quadratmetern oder einer Fläche von bis zu 27 Fußballfeldern.

Hintergrund:

1.9 Millionen Tonnen Munitionsaltlasten und Kampfmittel liegen am Grund der Nord- und Ostsee. Die Kampfmittel wurden zum größten Teil bei gezielten Munitions-Versenkungen nach dem Zweiten Weltkrieg, mit dem Ziel der deutschen Entwaffnung, versenkt.

– Die bisherige Positionierung von Bund und Ländern, dass von den Altlasten keinerlei großräumige Gefährdung für die marine Umwelt ausgeht wird im Zuge von jüngsten Forschungserkenntnissen und Berichten über eine hohe Belastung von Meerestieren mit Schadstoffen hinterfragt. Siehe auch UMK-Beschluss vom 16.11.2019.

– Das Thünen-Institut hat verstärkt Abbauprodukte des Sprengstoffes TNT in Plattfischen nachgewiesen und ein signifikant erhöhtes Auftreten von Leberknoten und –Tumoren beobachtet.

Die Bergung der Kampfmittel geht nur langsam voran und es wird noch mehrere Jahrzehnte dauern wird bis die Nord- und Ostsee von diesen Altlasten befreit sind. Aktuell ist noch nicht einmal eine systematische Vorgehensweise erkennbar und Bergungsmaßnamen sind im Haushalt nicht ausreichend untersetzt.

– Mit den aktuell bereitgestellten Finanzmitteln des Bundes ist eine vollständige Beräumung aller Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee ausgeschlossen.

Hier die Auswertung Kleine Anfrage „Sprengungen von Munitionsaltlasten und Kampfmitteln in Meeresschutzgebieten“ (Drucksache 19/13878)

KlAnfrage BMVg Drs. 19_13878